No Tears
Premiere 2020, Haus der Kunst, Solothurn / CH
12. bis 22. August 2020
Ein Tanzabend über die Orchestrierung von Menschen, über Macht, die keine Tränen kennt, und Tränen, die nicht mehr geweint werden.
Aufnahmen von Orchesterproben zu Brahms-Musik begleiten stimmungsvoll durch den Abend. Die Bühneninstallation besteht aus Dutzenden von metallenen Notenständern. Zu Beginn zu einem Dickicht formiert, mutiert sie sich zu Grenz- und Gefängniszäunen und verwandelt die Bühne so in einen bedrohlichen Unort.
Klänge des Einspiels von Symphonieorchestern und das Klappern von Computertastaturen umrahmen den Tanzabend. Das Orchester als Sinnbild für das zwischen- menschliche Gefüge mit seinem Wechselspiel zwischen Harmonie und Disharmonie und seinem labilen Gleichgewicht; das Geräusch der Computertastatur als Sinnbild für Manipulation und Beeinflussung durch undurchsichtige Strukturen im Hintergrund. Der Sound der flüchtigen Rhythmik des Tippens auf der Tastatur durchbricht den Orchester-Sound, legt sich über diesen wie eine Krake, tritt in Interaktion mit den ratternden Fussschlägen der Tänzerinnen und Tänzer. In Form von Fragmenten werden eingetippte Sätze auf die Bühne projiziert absurd, verwirrend.
Auf dem Teppich der Orchesterklänge und Tastaturgeräusche mäandern sich die Tänzerinnen und Tänzer von ihrem labilen zwischenmenschlichen Gefüge hin zu programmierten Vernichtungsmaschinen, abgekoppelt vom Menschsein und verloren. Fragen von Schuld und Unschuld stellen sich. Der Zerstörung folgen Heilungsprozesse, Hoffnung und Neuanfang. Zum Finale wird alles zugedeckt, es werden Spuren verwischt, als hätte die Vernichtung nie stattgefunden. So ist es eben. «In jeder Sekunde gibt es auf dieser Welt eine lange Schlange weinender Menschen und eine kürzere solcher, die lachen. Aber es gibt auch eine dritte Schlange, die nicht mehr weint und nicht mehr lacht. Die traurigste von den dreien.» (aus: «Natürlicher Roman» von Georgi Gospodinov).
Der Mensch, die Menschen in ihrem zwischenmenschlichen Gefüge, das Leben bestreitend, ausführend zwischen Konsens und Dissens, Harmonie und Disharmonie, Aggression und Liebe. Die «erste Natur» des Menschen, die angeborenen Gefühle, Reaktionen und Vorlieben. «Sie haben sich über Jahrtausende entwickelt. Idealtypisch formuliert, gewährleisten sie ein fast reibungsloses Funktionieren des Menschen in seiner sozialen wie ökologischen Umwelt. Genetisch verankert, müssen sie nur beschränkt erlernt werden. Sie implizieren eine Art natürliche Moral, die das zwischenmenschliche Miteinander reguliert» (aus: «Das Tagebuch der Menschheit», Carel van Schaik & Kai Michel). Das Miteinander der Menschen als Orchester mit seinen Harmonien und Disharmonien. Einspiel, Stimmen und Spiel, ein labiles Gleichgewicht, ein labiles Ungleichgewicht.
Durch fehlleitende, als solche unerkannte Propaganda wird diese «erste Natur» der Menschen ausgehebelt, destruiert, zerstört; sich perpetuierend bis hin zum Krieg. Ein Dickicht von Interessenverfolgung, undurchschaubar und verborgen. Es gilt: Eine simple Lüge ist einfacher zu verbreiten als eine komplexe Wahrheit. Auf Propaganda folgt Zensur. Kriege passieren nicht zufällig, sondern werden jahrelang im Verdeckten vorbereitet. Menschen werden durch verwirrende, manipulative Propaganda dazu gebracht, Krieg zu wollen, zu praktizieren, zu dulden. Das Orchester wird orchestriert. Den Krieg machen diejenigen, die selber nicht ins Blut gehen. Diejenigen, die ins Blut gehen, werden erst gefeiert, dann weggeworfen; ihre Seelen: verkauft, ihre Menschlichkeit: sabotiert kein Platz für Tränen. Das Orchester hat ausgespielt. Es ist zerstört.
In den Worten von Richard von Weizsäcker: «Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass, gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiss. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.»
(R. von Weizsäcker in seiner historischen Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Kriegs in Europa, am 8. Mai 1985, anlässlich der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestags).
«No Tears» ist ein Anschlussprojekt zur Produktion «Kalaschnikowa».
Teaser | https://vimeo.com/561274243 |
No Tears | Koproduktion mit Haus der Kunst St.Josef |
Inszenierung | Anet Fröhlicher |
Tanz | Antonio Dias |
Swaantje Gieskes | |
Jojo Hammer | |
Vera Fenyvesi Köppern | |
Henna-Elise Selkälä | |
Raum-Installation | Reto Emch |
Lichtdesign | Stephan Haller |
Sound Engineer | Pedro Haldemann |
mit freundlicher Unterstützung
SOkultur Lotteriefonds Kanton Solothurn
Stadt Solothurn
Ernst Göhner Stiftung
Stanley Thomas Johnson Stiftung
Migros Kulturprozent
Kulturfonds Anzeiger Bucheggberg-Wasseramt
Schweizerische Interpretenstiftung
VXCO
Hotel Kreuz, Solothurn
Verein "el contrabando"
Aimée Modes